Eigentlich wollte ich ja meinen Blog Politikfrei halten, aber das geht nun nicht mehr
Seit 4 Jahren reise ich nun schon durch das Mittelmeer. In Spanien erhielten wir Funksprüche, das kleine Boote mit bis zu 30 Menschen an Bord gesichtet wurden und wir Ausschau halten sollten. Wir sollten auf keinen Fall zu dicht heranfahren, sondern nur die Position durchgeben, es würde Hilfe kommen. Als ich durch Italien reiste, schwammen mir Turnschuhe am Strand entgegen und ich hoffte inständig, das kein Fuß mehr darin steckte. Im letzten Winter war ich auf der Lifeline, sprach mit den freiwilligen Helfern und hörte schreckliche Berichte. Berichte von Schüssen der Libanesischen Küstenwache auf die kleinen Boote. Berichte über sterbende Menschen, die keine Chance hatten gerettet zu werden. In Griechenland sah ich die ans Ufer geschwemmten Rettungswesten und zerschellten Schlauchboote. Nun verließ ich das Mittelmeer und war froh, nicht noch direkter mit dieser humanitären Katastrophe konfrontiert worden zu sein.
Und doch erfüllte sich einer meiner tiefsten Albträume während der Überfahrt von Gibraltar auf die Kanaren. An uns vorbei schwamm, 12sm vor Tanger, eine dieser orangen Feststoffwesten… darin ein Körper… tot.
Unser Skipper leitete umgehend ein Mann-über-Bord-Manöver ein. Zum Glück konnten wir wetterbedingt nur Motorsegeln und die Wellen waren nicht all zu hoch, also Segel bergen, der Motor war eh an, abdrehen und zur verunglückten Person fahren. Es stellte sich heraus, das der Körper einem junger Mann gehörte. Seine Turnschuhe hatten soviel Auftrieb, das sie die Füße trugen, deshalb sah ich ihn schon von weitem. Dann ging alles ganz schnell. Wir ließen die Badeplattform hinunter und ich fischte nach der Schwimmweste. So paradox es auch klingt, aber ich hatte Angst ihm weh zu tun. Ich band eine Festmacherleine an der Weste fest, so dass sie nicht von uns wegtreiben konnte. Gleichzeitig setzte unser Skipper einen Notruf ab und bat erst die spanische und dann die marokkanische Küstenwache um Hilfe.
Dann passierte 2 Stunden lang nichts. Die Sonne ging unter als wenn nichts passiert wäre und wir trieben Richtung Marokko, im Schlepptau einen toten Menschen. Dann endlich kam ein Schiff in Schleichfahrt auf uns zu, es war nicht auf dem AIS zu sehen und war plötzlich einfach da. Wir banden den Festmacher los und sie nahmen den toten Körper an Bord. Zum Glück konnten wir unsere Fahrt umgehend fortsetzen, es wurde uns nur gedankt und das Militärschiff entfernte sich genauso geräuschlos, wie es gekommen war.
Menschen sterben im Mittelmeer, ich habe einen gesehen. Zum Glück trieb er bäuchlings, so dass wir sein Gesicht nicht sehen konnten. Dennoch bin ich bin froh, dass wir ihn gefunden haben und seine Familie nun wenigstens Gewissheit hat. Aber dieses Bild werde ich nie wieder aus meinem Kopf bekommen und es ist eine Schande, das alle weggucken! Ich schäme mich für Europa! Ich schäme mich Europäerin zu sein!
Danke, liebe Iris! Danke für Deinen ehrlichen und bildhaften Bericht!
Man kann in alle Richtungen diskutieren, wenn Du es am eigenen Leib erlebst, trifft es auch Deine eigene Seele!
Ich wünsche Dir eine gute Weiterreise!
Gib dem Leben alle Chancen und lebe jeden Tag bewusst und wenn möglich, auch mit allen Sinnen!
Mit ganz lieben Grüßen,
Wieland