Korsika

Am nächsten Morgen tuckerten wir also nach Calvi herein um unseren gebrochenen Flügel reparieren zu lassen. Es war eine wirklich kleine idyllische Stadt in einer ruhigen Bucht gelegen. Da der Hafen belegt war, bekamen wir eine Boje zugewiesen, allerdings war die Versorgung echt gut- kleine Dinghys holten den Müll ab oder brachten Frischwasser, ein super Service. Leider war die Suche nach einer Reparaturwerkstatt nicht so erfolgreich, in der Marina war die Werkstatt nicht besetzt und die Kapitänerie konnte nur mit einer Visitenkarte weiterhelfen. Es entwickelte sich zu einer Art Rollenspiel- wenn Du den anrufst, bekommst Du die Nummer von wieder einem Anderen usw. Am Ende des Tages waren wir kein Stück weiter, aber unendlich genervt. Zum Glück passte sich der Himmel unserer Laune an und wir hätten eh im Hafen bleiben müssen.

DSC_0286-kAuch am nächsten Tag waren unsere Nachforschungen nach einem Monteur ohne Erfolg, erst gegen Nachmittag fand sich endlich jemand der sich den Schaden ansehen wollte. Stunden später kam er dann auch auf seiner kleinen Vesper angerauscht, aber stellte fest das er ohne Akkuschrauber und Schweißgerät auch nicht weiterhelfen könne und beides besäße er nicht. Wir waren also wieder da wo wir angefangen hatten und mussten eine Entscheidung treffen- noch länger dort vor Ort nach, inzwischen immer unwahrscheinlicherer, Hilfe suchen oder weitertuckern und es im nächsten Hafen probieren. Wir entschieden uns für zweiteres und fuhren am nächsten Morgen los. Einmal entschieden gings uns gleich viel besser, denn diese untätige Warterei deprimierte uns zusehens.

DSC_0290-kÜber Nacht musste draußen ein irrer Sturm getobt haben, denn die Wellen waren Meterhoch. Aber nicht diese kurzen harten, sondern die langen Berge und Täler. Es war wie Achterbahn fahren und ich hätte jedesmal aufjauchzen können, wenn wir aus einem Tal auftauchten und den Horizont wiedersahen, Adrinalin pur. Nachdem uns aber ein völlig zerfleddertes Boot entgegenkam, dessen Fock total zerrissen war und das Dinghy nur als schlappe Hülle hinterherschliff, bekam es mein Skipper wohl doch mit der Angst zu tun und wir fuhren in unsere erste Ankerbucht zurück um dort noch eine Nacht zu bleiben bis sich die Wellen gelegt hatten. Wir nutzten die Gelegenheit gleich aus und versteckten unsere erste Schatztruhe. Das war gar nicht so einfach, denn sie sollte ja nicht von Unwissenden gefunden werden, aber von Wissenden um so besser. Wir hatten jedenfalls unseren Spaß dabei und fanden ein wirklich schönes Fleckchen mit toller Aussicht über die Bucht bis hin nach Calvi.

DSC_0291-1Zurück auf dem Boot sprangen wir erst einmal ins Wasser, die Hitze an Land waren wir so gar nicht mehr gewohnt. Durch den Sturm hatte es so einige Quallen in die Bucht getrieben, aber da mich an der Cote de`Azur schon eine am Fuß erwischt hatte, wußte ich ja, das sie nur ein kurzes kribbeln wie Brennesseln auf der Haut verursachten und damit konnte ich leben. Also hinein ins kalte Nass! Aber PUSTEKUCHEN!!! Die die mich da umarmte brannte wie Feuer, so schnell wie ich im Wasser war, war ich auch wieder draußen. Ich bin kein Jammerlappen, aber mir schoßen sofort die Tränen in die Augen und ich hätte schreien können. Wir versuchten die Stelle an der sie mich erwischt hatte zu kühlen, sprühten Pantenolspray darauf, aber nichts half, es brannte als wenn ich meinen Arm auf eine Herdplatte hielt. Erst Google zeigt uns was half- Essig! Zum Glück hatten wir welchen vorrätig und nach einer halben Stunde lies der Schmerz langsam nach, so verbrachte ich den Abend mit Essigumschlägen.

DSC_0350-kAm nächsten Morgen sah die Welt schon wieder anders aus, das Brennen hatte sich verflüchtigt und auch wenn ich mir beim letzten Landgang das Knie aufschürfte und nun den Rest des Urlaubs nicht mehr knien konnte, stachen wir ungeachtet dessen in See. Es folgten Tage voller strahlendem Sonnenschein, ausgiebigen Badeexzessen, traumhaft schönen Sonnenuntergängen und sternenklaren Nächten. Wir genossen die wundervolle Landschaft, die einsamen Buchten, versteckten Schatztruhen in Höhlen und hinter Steinhaufen die aussahen wie Trolle und schipperten begleitet vom tuckern unseres Motors an Korstikas Küste immer südlicher.

An einem Abend, als mein Skipper schon früher im Bett war, saß ich noch mit meinem Becher Rotwein auf dem Deck des Bootes und lauschte der Musik der etwas weiter neben uns aneinandergebundenen Charteryachten. Und ich dachte nach, über mich, mein Leben und meine Zukunft. DSC_0372-kZu Beginn meiner Reise wurde ich von meinem Skipper gefragt, wo ich mich in 5 Jahren sehe und ich konnte nur mit den Schultern zucken, weil ich nicht daran glaubte das mein Wunsch noch viel von der Welt zu sehen Wirklichkeit werden könnte. Mit meinen 44 Jahren hatte ich noch nicht wirklich viel von der Welt gesehen, denn als als alleinerziehende und verdienende Frau konnte man keine großen Sprünge machen. Mein 21 jähriger Sohn würde höchstwahrscheinlich nächstes Jahr, nach abgeschlossener Ausbildung, zu seiner Freundin nach Hamburg ziehen und ich würde aus meiner viel zu großen Wohnung ausziehen. Mit dem was ich nach über 25 Berufserfahrung verdiente, kann man in Deutschland alleine gerade so überleben, aber nix ERleben! Ich würde also über kurz oder lang eh einen Entschluss fassen müssen, wie mein Leben weitergeht. Die bisherige Reise hatten ganz verschiedene Eindrücke hinterlassen… mein sonst eher sehr rastloses Wesen, fand das erste mal seit ich denken kann Ruhe. Vielleicht lag es daran, das sich die Welt um mich bewegte, so konnte ich zur Ruhe kommen. Befürchtete Mängel, wie fehlende Intimsphäre oder Dusche, hatten mich so gar nicht mehr gestört, im Gegenteil ich genoß diese Zugehörigkeit und Zweisamkeit, die ich seit Jahren nicht mehr hatte. Fasziniert von der Gelassenheit und Freundlichkeit der Franzosen und die Andersartigkeit der Landschaften, der Unterschied vom Festland zu Korsika, diese Fremdartigkeit versus meinem gewohnten Leben. Ich habe mich wohler in Ankerbuchten, als in Häfen gefühlt, die Ruhe nach dem Trubel umso mehr genossen. Zum Glück auch schien ich Seefest zu sein. Wellenhöhe und Wind empfand ich als gegeben und hab es als unveränderlich angenommen, hingegen vorbeirasende Motorboote mich aufgeregt haben, obwohl ich die auch nicht ändern konnte. Mich hatte die unendliche Weite, dieses irrsinnige Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit nachhaltig angezeckt. Wie klein und beschränkt und eingeengt wir an Land doch lebten….

Alles erschien plötzlich so klar, so durchsichtig- man konnte mit einem Boot überallhin, wohin man auch wollte. Es gab niemanden der einem sagte wie schnell man zu fahren hatte und das man zu dicht an der Kreuzung parkte, niemand wollte Geld fürs ankern und in Marinas musste man nur zur Not um die Vorräte aufzutanken. Also, warum nicht mit dem Boot die Welt bereisen, mich von meinem angesammelten Ballast befreien, den Rest im Keller einlagern und die Wohnung vermieten. In 20 Jahren würde mich keiner mehr freiwillig auf seinem Boot wollen, noch ist alles da wo es hingehört und ich bin fit genug um mich auch körperlich auf einem Boot einzubringen. Ich lebe nur einmal und das Leben endet in jedem Fall tödlich! Ich hatte etwas entdeckt wonach ich seit Jahren gesucht habe, es war als wenn eine Tür vor mir geöffnet wurde und plötzlich Frischluft in mein Leben kam und endlich die große weite Welt zum greifen nahe ist.

Warum also nicht die Welt umsegeln! Und ich wußte plötzlich dass das gehen kann!!!

Ich würde einen Segelbootführerschein machen, so oft wie möglich aufs Wasser gehen, Erfahrungen sammeln, um dann in 1-2 Jahren für eine Zeit auszusteigen und nur noch zu LEBEN, denn nach mehr als 25 Jahren Tag ein Tag aus arbeiten zu gehen, hatte ich mir DAS verdient. Nicht wie meine Kollegen mit 46 einen Herzinfarkt oder mit 51 einen Schlaganfall bekommen und wenn dann bitte nicht auf Arbeit, sondern auf einem Boot. Was war schon eine abgebrochene Saling, eine Kollision mit einer Feuerqualle oder ein aufgeschürftes Knie dagegen. Es wäre so einfach glücklich und frei zu sein und dieses Gefühl der Ausgeglichenheit und inneren Ruhe dauerhaft zu haben.

Ich teilte meinen Entschluss meinem Skipper mit und schob ihm die Schuld in die Schuhe, weil er mir schließlich diesen tollen Urlaub und die darausfolgende Erkenntnis ermöglicht hatte. Seine Antwort darauf war nur- „sehr gern geschehen“

Die folgenden Tage genoss ich umso mehr, in denen wir von Calvi aus ins Naturschutzgebiet La Scandola über Galeria, bis hin zum Golfe de Porto unsere Schätze versteckten, doch unsere Zeit war begrenzt und wir mussten bald unseren Rückweg antreten…



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